Am Ende der Straße, welche ins Pasviktal hineinführt, befindet sich ein Nationalpark, der Øvre Pasvik Nasjonalpark. Hier kann man einen der urwüchsigsten Kiefernwälder von Europa finden; hier beginnt die sibirische Taiga; hier verbirgt sich aber auch ein Ort im dunklen Wald der Teil einer schrecklichen Geschichte ist. Kurz vor Vaggetem steht ein Schild am Straßenrand, welches den Weg zu einem der vielen Gefangenenlager für russische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg zeigt.
Während des Zweiten Weltkrieges waren ungefähr 100 000 russische Kriegsgefangene in Norwegen in verschiedenen Arbeitslagern interniert. Etwa 7000 davon waren Ostarbeiter: Alte, Frauen und Kinder, die aus ihrer Heimat zwangsevakuiert wurden. Sie mussten harte Arbeit für die Deutschen verrichten, lebten unter erbärmlichen Bedingungen, bekamen kaum etwas zu essen und wurden grausam behandelt. Viele von ihnen starben an Krankheiten oder aus Erschöpfung.
Schon oft bin ich an dem Wegweiser zum Gefangenenlager vorbeigefahren, doch nie hatte ich mir die Zeit genommen, um die gerade mal zwei Kilometer von der Straße bis zum Lager zu laufen. Für diesen Sommer hatte ich mir vorgenommen, endlich einmal dort hinzugehen, aber irgendeine Ausrede fand ich immer, um eine andere Tour zu bevorzugen. Zu langer Anfahrtsweg, zu viele Mücken oder einfach nur schlechtes Wetter. Inzwischen hat der Herbst Einzug gehalten, die Nächte sind kühler, die Mücken verschwunden und manche Birken haben sogar schon all ihre Blätter abgeworfen. Es ist mein erster Urlaubstag und diesmal gibt es keine Ausrede. Bei leichtem Nieselregen mache ich mich auf den Weg und folge dem kleinen Trampelpfad, der vom Parkplatz bis zu einem See führt, an dem das ehemalige Gefangenenlager steht. Viel ist nicht mehr zu erkennen. Ein paar Pfosten mit verrostetem Stacheldrahtzaun, die eine Fläche von etwa fünfzehn mal zwanzig Meter einzäunen, ein paar verrostete Dosen, eine verrostete Rolle Stacheldraht, das war‘s.
Stille herrscht an diesem beklemmenden Ort im Wald, kein fröhliches Vogelzwitschern ist zu hören, nur der Regen, der leise auf die Erde fällt. Wie viele Gefangene hier wohl gelebt haben? Wie lange mussten sie hier ausharren? Obwohl ich nass bin vom Regen, bin ich froh, dass ich bis zum Herbst mit dieser Tour gewartet habe, denn das graue Schmuddelwetter passt viel besser zu solch einem Ort als strahlender Sonnenschein. Ich mache in paar Bilder und schaue mich hier so lange um, bis mein Hund mir zu verstehen gibt, dass es ihr nun zu langweilig wird und sie weiter möchte. Also packe ich meinen Rucksack und mache mich auf den Rückweg. Nach ein paar Metern entdecke ich jedoch zu meiner linken Seite einen aus einfachen Steinen gebauten Ofen. Einen derartig primitiven Backofen hatte ich vor ein paar Jahren bereits an einer anderen Stelle im Pasviktal schon einmal gesehen. Die russischen Kriegsgefangenen hatten in solchen Öfen ihr Brot gebacken oder Essen zubereitet.